Abendteuer"urlaub"

Verfasst am: 27.06.2008 14:22:04 Titel: Abendteuer"urlaub"

Ich kann ja verstehen, dass bei vielen das Leben so öde und eintönig ist – dann muss man zum Ausgleich schon bei der BB im Modder wühlen, in öden Wüsten darben, oder was sich sonst so zum Ausgleich anbietet…

Aber das reale Leben kann schon viel weniger als langweilig sein, man muss es nur wagen, dann kommt der Zeitvertrieb schon von alleine…

Da es in diesem Lande für Menschen in meinem Alter vernünftige Jobs schon lange nicht mehr gibt, muss der Mensch eben flexibel sein, also: Unter den vielen Mails, die eigentlich automatisch im Junk-Ordner landen, war auch ein Jobangebot für etliche Wochen in Irland, in der Nähe von Dublin. Eine US-Firma suchte für ihre Filiale Mitarbeiter mit guten Deutsch- und Englischkenntnissen, die zugesagte Bezahlung war auch nicht übel. Nach diversen Mails und etlichen Recherchen war alles klar und geklärt, durch Kontakte zu irischen Genossen auch eine Unterkunft in der Nähe des Arbeitsplatzes gefunden…

Die Arbeit war nicht uninteressant, ein bunt gemischter Haufen von Mitarbeitern aus aller Welt, fast alles fürchterlich nette Leute, mit denen man viel Spaß hatte – sofern man nicht der Geschäftsleitung ins Gehege kam, die war nämlich nicht so nett. Obwohl man den ganzen Tag viel vorm PC saß, alles Private war strengstens untersagt und wurde rigide überwacht, also nix mit Surfen im Internet oder private Mails verschicken, und entsprechend auch die Telefonbenutzung. Man war fast schon von der Welt abgeschnitten…

Auch wenn heute in Irland es vielen Leuten wirtschaftlich gut geht, gibt es noch immer viel Armut im Lande. Meine „Vermieter“ waren nett, man fühlte sich fast zu Hause bei ihnen, weniger wie ein Gast, mehr als ein Freund. Wir haben nächtelang zusammengesessen und diskutiert. Es ist schon ein merkwürdiges Gefühl, wenn dann Kontakte nach draußen fast nur über Briefe möglich sind, denn Telefon hatte man dort im Hause nicht, und die beiden öffentlichen Fernsprecher im Ort fast immer defekt. Und wenn dann die Telefonkarte schneller als geplant zu Ende ist, ist es fast unmöglich, auf die Schnelle mal Ersatz zu bekommen…

Jeder kennt sie, diese Billigstflüge nach Dublin, aber dort ist es fast unmöglich, kurzfristig einen Platz in der Maschine zu bekommen, jedenfalls dann nicht, wenn man sich nach Arbeitszeiten richten muss – also war ich zwischenzeitlich nur einmal kurz zuhause.

Ansonsten war es fast wie Urlaub, trotz der Arbeit…

Der besondere Spaß kam am Ende: Da gab es den Gehaltsscheck und die Flugreservierung in die Heimat. Nur: als ich Freitagmittags den Scheck bei der Bank einlösen wollte, ist er nicht gedeckt. Zurück zur Firma, da erfährt man dann, dass die drei Herrschaften der Geschäftsleitung auf dem Weg in die Staaten seien. Inzwischen hatten sich etliche meiner Ex-Kollegen auch dort eingefunden, denen es ähnlich ergangen war. Guter Rat ist teuer, aber nicht immer: Durch das in der Zeit gelaufene EU-Referendum in Irland hatte ich Kontakte zu irischen Genossen vor Ort, ein guter Rechtsanwalt wurde von allen beauftragt, unsere Interessen wahrzunehmen.

Da es wenig sinnvoll erschien, länger in Irland zu bleiben, auch die Ticketreservierung vorlag, ging es zurück zur Unterkunft, die Sachen waren gepackt und ab zum Flughafen. Dort folgte die nächste Überraschung: Der Flug war zwar reserviert, aber nicht bezahlt, und durch geplatzten Scheck auch nicht genug Geld vorhanden, ihn zu bezahlen. Also rüber zu den Billigfliegern: In drei Wochen könnten Sie fliegen, war die nette Antwort…
Was tun, war die Frage. Irgendwie kommt man auch so nach Hause, die deutsche Botschaft in Dublin war wenig hilfreich, also Handeln auf eigene Faust, man kann schließlich nach Hause trampen….

Nur: Dazwischen liegt erst mal die irische See, die Fähre ist teuer, aber nach einigem Suchen und Verhandeln fand sich ein irischer Fischer, der auslaufen wollte und dann seinen Fang in England abladen wollte. Also drei Tage auf See, ein wenig geholfen – was der Mensch nicht alles kann, wenn er will oder muss – und dann war ich drüben in England. Noch eine Nacht an Bord gepennt und dann per Anhalter weiter. Was zunächst ganz gut ging, und irgendwann fand sich sogar Gelegenheit, kurz Kontakt zur Familie herzustellen, einfach um zu berichten, wo ich gelandet sei…

In der Nähe von Birmingham kam das nächste „Abendteuer“: Ein zu schnell fahrendes Einsatzfahrzeug kam ins Schleudern und raste in eine Fußgängergruppe vor einem Pub, ein Schwerverletzter, die anderen weniger: bei mir waren es nur Prellungen und eine angeknackste Rippe, also erst mal zwei Tage Krankenhaus. Dort hält mich nichts, also weiter Richtung Kanal, mit allen möglichen Fahrzeugen: vom Porsche bis zum Trecker. Übernachtet wurde in Jugendherbergen oder auch mal in einer Scheune. Und wenn man seine Story erzählte, bekam mach auch die Einladung zum Essen oder zweimal sogar die Übernachtung im Hotel. Man kann also überleben, ohne fast einen Cent noch in der Tasche zu haben. Von London bis nach Zürich sogar ausgesprochen gut: Da bekam ich kurzfristig sozusagen den Job als Chauffeur eines Bentlys, mit Hotelübernachtungen und kleinem Umweg über Paris und Lyon. Von Zürich aus weiter, meist per LKW, und nicht gerade auf direktem Weg nach Hamburg, sondern ein wenig zickzak durch die Republik, bis ich dann endlich in Billwerder-Moorfleet (Hamburg) landete und sogar noch das Fahrgeld für die S-Bahn nach Hause in der Tasche hatte.

Also merket: der Mensch kann noch was erleben, er muss nur wollen – oder es mehr oder weniger unfreiwillig über sich ergehen lassen. Und wer sich nicht in Gefahr begibt, stirbt im Bett…

PS: Gestern erfuhr ich, dass mein Arbeitgeber in Dublin Insolvenz angemeldet hat...)

Verfasst am: 27.06.2008 14:41:36 Titel:

Boahh! Die Story ist so genial, dass man sie fast nicht glauben kann.

Verfasst am: 27.06.2008 14:46:30 Titel: Re: Abendteuer"urlaub"

Verfasst am: 27.06.2008 14:48:35 Titel:

@autoclaus:

Verkauf die Filmrechte Deiner Erlebnisse nach Hollywood.
Das sollte doch den ausstehenden Lohn der feinen, flüchtigen Geschäftsführer mehr als ausgleichen...!

Gruss,
Christoph

Verfasst am: 27.06.2008 14:48:40 Titel:

Hallo Claus! Schön von Dir zu lesen - und wie immer: Unkraut vergeht nicht! YES

Verfasst am: 27.06.2008 15:42:35 Titel:

Geniale Geschichte! (Der Teil wo man Dich ohne Bezahlung stehen lassen hat war natürlich äusserst unangenehm für Dich), die Heimreise könntest Du jedoch in kleiner Buchform publizieren, vielleicht verkaufst Du das einige Male und machst mehr Kohle als mit der Sklavenarbeit die Du unbezahlt geleistet hast...

Gut dass Du heil & gesund angekommen bist!

Verfasst am: 27.06.2008 15:57:27 Titel:

@Claus

wellcome back,

schön, daß jetzt alles wieder in Ordnung ist.

Das mit der Kohle ist ein riesen Sche**,

aber die Idee mit dem Buch ist genial

mach da was draus Respekt

Hiermit bestelle ich ein Exemplar Winke Winke

Verfasst am: 27.06.2008 17:34:07 Titel:

Willkommen im Leben!

dazugelernt haste ne Menge und die dies gelesen haben sicherlich auch.

Mach was draus..

Knuddel

Verfasst am: 27.06.2008 21:54:13 Titel:

Willkommen Daheim

Verfasst am: 28.06.2008 00:02:07 Titel:

Verfasst am: 28.06.2008 00:09:20 Titel:

Nicht zu fassen - schön das du wieder Daheim und hier bist ! Ick freu mir

Verfasst am: 28.06.2008 00:19:14 Titel:

Naja, man lernt nie aus, wenn man viele Gelegenheiten ausnutzt, und das habe ich reichlich in meinem Leben...

Das wäre nicht meine erste Story, die man zum Buch oder Film machen könnte - vor einiger Zeit hörte ich bei einem Bewerbungsgespräch eine bewundernde Bemerkung über meinen Lebenslauf - genommen haben sie mich trotzdem nicht...

Und das größte Problem beim Buchschreiben ist neben notwendiger Muße und Geld zum Leben mein eigener Anspruch an meine schriftstellerischen Fähigkeiten - obwohl: vieles, was ich gelesen habe, war weit schlechter als das, was ich mir selber zutraue...

Und der eigentliche Grund, weshalb ich diesen Job in Irland angenommen hatte, war ein alter , der mir angeboten worden war: 20 Jahre alt, aber in einem Zustand wie neu, und fast so, wie ich ihn haben wollte: Stroker, RE-Fahrwerk - frisch aus den Staaten und noch ohne deutschen Brief, aber zu einem Preis, zu dem man nicht neinsagen kann: € 1500,00 - viel für einen 88er, sehr wenig bei einem 88er in diesem Zustand...

Ohne Geld ist er nun weg...

Verfasst am: 28.06.2008 19:52:35 Titel:

ist ja unglaublich..............willkommen wieder hier bei uns bei guter Gesundheit

Verfasst am: 29.06.2008 21:18:59 Titel:

Krasse Geschichte...

Verfasst am: 16.07.2008 23:58:26 Titel:

Sorry Claus, dass ich das jetzt erst lese. Ich bin gleichermaßen schockiert und beeindruckt. Eigentlich fehlen mir die richtigen Worte um zu beschreiben, was ich gerade denke bzw. fühle.

Am Wichtigsten: Schön dass es Dir gut geht, Du wieder wohlbehalten zurück bist und irgendwie um ein schier unglaubliches, wenn auch trauriges Abenteuer reicher.

Ich glaub so richtig erfassen und begreifen, was das Geschriebene bedeutet, kann man beim ersten Lesen gar nicht. Teilweise zu abstrus um gleich eingeordnet werden zu können, zu komplex um die Auswirkungen mittel- und unmittelbar zu erahnen...

Hey, Willkommen daheim Winke Winke

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